Verkehrsversuch „Anlagenring“: Unterschied zwischen den Versionen
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Der Verkehrsversuch am Anlagenring in Gießen | Der Verkehrsversuch am Anlagenring in Gießen war ein Verkehrsversuch, welcher die inneren zwei Spuren des Anlagenrings als Fahrradstraße deklarierte, welche bis auf Ausnahmen nur durch Radfahrer, Busse und Rettungsmittel befahren werden durfte. Der Verkehrsversuch basierte auf einem Bürgerantrag und wurde am 04.03.2021 mehrheitlich vom Stadtparlament beschlossen. Am 30.08.2023 erklärte der Verwaltungsgerichtshof in Kassel den Verkehrsversuch in der bisherigen Form in Teilen für rechtswidrig, woraufhin die Stadt Gießen den Verkehrsversuch für gescheitert erklärte. | ||
== Einreichung des Bürgerantrags == | == Einreichung des Bürgerantrags == | ||
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Die damalig gültige Bürgerbeteiligungssatzung schrieb vor, dass 1 % aller in Gießen mit Erstwohnsitz Gemeldeten durch ihre Unterstützungsunterschrift unterstützen müssen. Das Erreichen wurde durch die Stadt Gießen im Januar 2021 festgestellt, nachdem zuerst einige Unterstützungsunterschriften für ungültig erklärt wurden, weil es sich bei diesen Personen z. B. um Personen handelten, die nicht in Gießen mit Erstwohnsitz gemeldet waren.<ref name="gaz-20210119-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/haertetest-giessener-buergerportal-13954437.html ''Gießen: Bürgerantrag auf separate Radspuren dreht Extrarunde wegen ungültiger Stimmen''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 19.01.2021 ([https://web.archive.org/web/20230831211527/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/haertetest-giessener-buergerportal-13954437.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/pBY0J Archivierte Version])</ref> | Die damalig gültige Bürgerbeteiligungssatzung schrieb vor, dass 1 % aller in Gießen mit Erstwohnsitz Gemeldeten durch ihre Unterstützungsunterschrift unterstützen müssen. Das Erreichen wurde durch die Stadt Gießen im Januar 2021 festgestellt, nachdem zuerst einige Unterstützungsunterschriften für ungültig erklärt wurden, weil es sich bei diesen Personen z. B. um Personen handelten, die nicht in Gießen mit Erstwohnsitz gemeldet waren.<ref name="gaz-20210119-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/haertetest-giessener-buergerportal-13954437.html ''Gießen: Bürgerantrag auf separate Radspuren dreht Extrarunde wegen ungültiger Stimmen''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 19.01.2021 ([https://web.archive.org/web/20230831211527/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/haertetest-giessener-buergerportal-13954437.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/pBY0J Archivierte Version])</ref> | ||
== Abstimmung in der | == Beschlussfassung über den Bürgerantrag == | ||
Nach § 10 der damals gültigen [[Bürgerbeteiligungssatzung der Universitätsstadt Gießen]] hatte der Magistrat einen Bürgerantrag dem entsprechenden Organ (hier: der Stadtverordnetenversammlung) zur Beschlussfassung vorzulegen, wenn mindestens ein Prozent der Bürgerschaft den Antrag unterschrieben hatte. | |||
Für die letzte Sitzungsrunde der Wahlperiode 2016-2021 wurde der Bürgerantrag zur Beschlussfassung vorgelegt. Die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen brachten einen Änderungsantrag ein, der vorsieht, dass der Magistrat innerhalb von sechs Monaten einen einjährigen Verkehrsversuch startet. Dabei soll für Fahrradfahrer in jeder Richtung ein mindestens drei Meter breiter Fahrradstreifen eingerichtet werden. Zur Realisierung soll ein Gutachten erstellt werden, das aufzeigt, wie die Hälfte des Anlagenrings für Fahrradfahrer zur Verfügung gestellt werden kann. Zusätzlich soll auch der ÖPNV berücksichtigt werden. Die möglichen Varianten sollen der Stadtverordnetenversammlung zur Entscheidung vorgelegt werden.<ref name="niederschrift_ausschuss_16022021">[https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=147448&type=do Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Planen, Bauen, Umwelt und Verkehr vom 16.02.2021], Seiten 7 ff., abgerufen am 04.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20250504212622/https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=147448&type=do Archivierte Version])</ref><ref name="niederschrift_stavo_04032021">[https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=147920&type=do Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 04.03.2021], Seiten 25 ff., abgerufen am 04.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20250504212453/https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=147920&type=do Archivierte Version])</ref> | |||
=== Argumente der Befürworter und Gegner === | |||
Befürworter aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken merkten an, dass die Innenstadt mit dem umschließenden Anlagenring noch immer keine Radwege habe und sich der Verkehr ändern müsse, wenn man die Klimaziele einhalten wolle. Auch sei man sicher, dass der Einzelhandel davon profitieren würde.<ref name="niederschrift_ausschuss_16022021" /> | |||
Gegner des Bürgerantrags aus den Reihen von CDU, Freien Wählern und FDP kritisierten, dass die Beschlussfassung im Hauruckverfahren durchgeführt werde, und vertraten die Meinung, dass der Verkehrsversuch dem durch die Corona-Pandemie gebeutelten Innenstadthandel nicht zugemutet werden könne. Der Einzelhandel sei auf eine gute Erreichbarkeit mit dem PKW angewiesen. Zudem wurde argumentiert, dass es durch den Verkehrsversuch zu kilometerlangen Staus und Chaos kommen werde. Seitens der FDP wurde die Auffassung vertreten, dass zuerst die Menge an Autos auf dem Anlagenring verringert werden müsse, bevor man den Verkehrsversuch in der geplanten Form durchführe.<ref name="niederschrift_ausschuss_16022021" /><ref name="gaz-20210305-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/ja-zum-verkehrsversuch-90228929.html ''Ja zum Verkehrsversuch''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 05.03.2021, abgerufen am 04.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20230831182640/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/ja-zum-verkehrsversuch-90228929.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/L6zOE Archivierte Version])</ref> | |||
Die Freien Wähler beantragten in diesem Zusammenhang, dass der Bürgerantrag in der Beratung bis nach der Kommunalwahl vertagt werden solle. Nach der damaligen [[Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung der Universitätsstadt Gießen (2012) | Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung]] hätte dies gemäß § 32 zur Folge, dass der Bürgerantrag als erledigt anzusehen wäre. Die CDU stellte wiederum einen Initiativantrag, dass der Magistrat die Vorschläge des Bürgerantrags in den laufenden Prozess der Erstellung des Verkehrsentwicklungsplans aufnehmen und die Fertigstellung des Verkehrsentwicklungsplans beschleunigen solle.<ref name="niederschrift_stavo_04032021" /> | |||
=== Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung === | |||
Die Zustimmung zum Bürgerantrag war nicht sicher. So konnte sich die damalige Koalition aus SPD, Grünen und CDU nicht auf eine gemeinsame Entscheidung einigen. Auch gab es in den Reihen der SPD Gegner des Antrags, wie zum Beispiel der Stadtverordnete [[Andreas Walldorf]]. Dieser trat vor der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 04.03.2021 von seinem Mandat zurück.<ref name="gaz-20210305-1" /> | |||
Mit 30 zu 28 Stimmen stimmte die Stadtverordnetenversammlung dem Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Der Antrag der Freien Wähler auf Vertagung wurde mehrheitlich abgelehnt (Ja: 17 Stimmen, Nein: 38 Stimmen, Enthaltungen: 3 Stimmen), ebenso der Initiativantrag der CDU-Fraktion (Ja: 28 Stimmen, Nein: 30 Stimmen).<ref name="niederschrift_stavo_04032021" /> | |||
{|class="wikitable" style="width:100%" | {|class="wikitable" style="width:100%" | ||
|+ Namentliche Abstimmung des durch die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen geänderten Bürgerantrags<ref name="ErgebnisNamentlicheAbstimmungStaVo20210304">[https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=167870&type=do ''STV Auszug - TOP 8 namentliche Abstimmung''], Anlage zur Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 04.03.2021, abgerufen am 07.11.2023 ([https://web.archive.org/web/20231107094248/https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=167870&type=do Archivierte Version])</ref> | |+ Namentliche Abstimmung des durch die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen geänderten Bürgerantrags<ref name="ErgebnisNamentlicheAbstimmungStaVo20210304">[https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=167870&type=do ''STV Auszug - TOP 8 namentliche Abstimmung''], Anlage zur Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 04.03.2021, abgerufen am 07.11.2023 ([https://web.archive.org/web/20231107094248/https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=167870&type=do Archivierte Version])</ref> | ||
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== Kritik am Verkehrsversuch == | == Kritik am Verkehrsversuch == | ||
=== Kritik von Geschäftsleuten in der Gießener Innenstadt === | |||
=== Kritik des Polizeipräsidiums Mittelhessen & Regierungspräsidiums Gießen === | |||
Sowohl das Polizeipräsidium Mittelhessen als auch das Regierungspräsidium Gießen zweifeln sowohl den Nutzen zur Beseitigung von Gefahrenquellen als auch die Zulässigkeit an. Im Zeitraum von 2020 bis 2022 ereigneten sich 26 von 27 Unfällen mit Beteiligung von Fahrradfahrern auf dem Anlagenring an Kreuzungs- oder Einmündungssituationen. Auch nach einem Umbau des Anlagenrings bleiben diese Gefahrenquellen bestehen, da die Fahrradstraße weiterhin von Verkehr gequert werden muss, um Einfahrten und Parkhäuser zu erreichen. Zudem wird eine zusätzliche Gefährdung beim Überholen von Fahrradfahrern durch Linienbusse gesehen, da diese zwangsläufig die Gegenfahrbahn nutzen müssten, um den innerorts vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.<ref name="Unterlagen-RPGI-20102023-1">[[Medium:UnterlagenAnzeigeVerkehrsversuch_anonymisiert.pdf | ''Unterlagen des Regierungspräsidiums Gießen zur Anzeige des Verkehrsversuchs auf dem Gießener Anlagenring'']], Geschäftszeichen: RPGI-33-66I0500/2-2023/8, Stand: 20.10.2023, anonymisiert durch giessen.wiki ([https://web.archive.org/web/20231119124959/https://www.giessen.wiki/images/8/80/UnterlagenAnzeigeVerkehrsversuch_anonymisiert.pdf Archivierte Version]) ([https://archive.ph/RcIyT Archivierte Version])</ref> | |||
Auch wurde die Zulässigkeit der gewählten Variante generell angezweifelt, da große Teile des Anlagenrings zur Landesstraße (L 3475) gehören. Diese dient gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Straßengesetzes dem überörtlichen Durchgangsverkehr und bildet zusammen mit den Bundesfernstraßen ein Verkehrsnetz. Durch die gewählte Variante würde ein großer Teil des Verkehrsraums dem motorisierten Individualverkehr entzogen. | |||
<ref name="Unterlagen-RPGI-20102023-1" /> | |||
Von Seiten des Polizeipräsidiums wurde zusätzlich befürchtet, dass sich die Einsatzzeiten verlängern könnten und bei Einsätzen erhebliche Umwege in Kauf genommen werden müssten.<ref name="gaz-20230825-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/am-verkehrsversuch-behoerdenkritik-92480152.html ''Riskante Überholvorgänge: Behörden zweifeln am Verkehrsversuch in Gießen''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 25.08.2023, abgerufen am 04.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20231007060129/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/am-verkehrsversuch-behoerdenkritik-92480152.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/540dg Archivierte Version])</ref> | |||
== Rechtsstreit == | == Rechtsstreit == | ||
Im Rahmen der Errichtung des Verkehrsversuchs verfügte die Stadt Gießen am 13.06.2023 bzw. 16.06.2023 die verkehrsrechtliche Anordnung, die Einbahnstraßenregelung in der Braugasse aufzuheben, die Landgrafenstraße als Sackgasse auszuweisen und die Richtung der Einbahnstraße in der Senckenbergstraße zu ändern.<ref name="pm-vg-20230710">[https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/giessener-verkehrsversuch-rechtswidrig ''Gießener Verkehrsversuch rechtswidrig''], Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 10.07.2023 ([https://web.archive.org/web/20230723234000/https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/giessener-verkehrsversuch-rechtswidrig Archivierte Version]) ([https://archive.ph/Kfq9j Archivierte Version])</ref> | |||
Gegen diese Anordnungen reichten Anwohner der betroffenen Straßen am 22.06.2023 Klage beim Verwaltungsgericht Gießen ein und beantragten zusätzlich einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 10.07.2023 wies das Verwaltungsgericht die Stadt Gießen an, den ursprünglichen Zustand der Straßen wiederherzustellen. Eine Beschwerde der Stadt Gießen gegen diesen Beschluss wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 29.08.2023 abgewiesen. Formell betraf der Rechtsstreit nur die Anordnung, welche die drei Straßen betrifft, jedoch zweifelte der Hessische Verwaltungsgerichtshof generell die Zulässigkeit des geplanten Verkehrsversuchs an. Am 09.10.2023 wurde das Hauptsacheverfahren (Az.: 6 K 1537/23.GI) vom Verwaltungsgericht Gießen eingestellt, da sowohl die Kläger als auch die Stadt Gießen das Verfahren für erledigt erklärten.<ref name="beschluss_vgh_20230829">[https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230005072/part/L ''Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29.08.2023''], Aktenzeichen: 2 B 987/23, European Case Law Identifier: ECLI:DE:VGHHE:2023:0829.2B987.23.00 ([https://web.archive.org/web/20231010144831/https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230005072/part/L Archivierte Version]) ([https://archive.ph/0iwaQ Archivierte Version])</ref><ref name="pm-vg-20231027">[https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/saemtliche-verfahren-bezueglich-des-verkehrsversuches-beim-verwaltungsgericht-giessen-beendet ''Sämtliche Verfahren bezüglich des Verkehrsversuches beim Verwaltungsgericht Gießen beendet''], Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 27.10.2023, abgerufen am 15.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20231029134708/https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/saemtliche-verfahren-bezueglich-des-verkehrsversuches-beim-verwaltungsgericht-giessen-beendet Archivierte Version]) ([https://archive.ph/HTpiI Archivierte Version])</ref> | |||
Vor dem Hintergrund, dass die Stadt Gießen die Einrichtung des Verkehrsversuch trotz des Beschlusses des Verwaltungsgerichts bis zum Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs weiter durchgeführt hat, wurde von Personen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Bürgermeister Alexander Wright und Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher eingelegt sowie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen sie erstattet.<ref name="gaz-20250507">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/nachermittlungen-gegen-buergermeister-wright-93718436.html ''Gießens Bürgermeister wieder im Fokus der Ermittler – Verkehrsversuch-Chaos zieht erneut Kreise''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 07.05.2025, abgerufen am 07.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20250507082401/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/nachermittlungen-gegen-buergermeister-wright-93718436.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/VH00O Archivierte Version])</ref><ref name="ga-20230927-1">[https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/ermittlungen-gegen-buergermeister-92546443.html ''Ermittlungen gegen Bürgermeister''], Gießener Anzeiger vom 27.09.2023, abgerufen am 15.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20230927192004/https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/ermittlungen-gegen-buergermeister-92546443.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/DCDzj Archivierte Version])</ref> | |||
=== Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Gießen === | === Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Gießen === | ||
Mit Beschluss vom 10.07.2023 (Az.: 6 L 1536/23.GI) gab das Verwaltungsgericht einem Eilantrag von zwei Einwohnern statt, der sich gegen die im Rahmen des Verkehrsversuchs getätigten verkehrsrechtlichen Anordnungen, die Einbahnstraßenregelung in der Braugasse aufzuheben, die Landgrafenstraße als Sackgasse zu ändern, sowie die Richtung der Einbahnrichtung der Senckenbergstraße zu ändern, richtet. Von den Antragstellern wurde bemängelt, dass es für einen Verkehrsversuch eine Gefahrenlage bedarf, die durch plausible Datengrundlage nachgewiesen werden muss.<ref name="pm-vg-20230710" | Mit Beschluss vom 10.07.2023 (Az.: 6 L 1536/23.GI) gab das Verwaltungsgericht einem Eilantrag von zwei Einwohnern statt, der sich gegen die im Rahmen des Verkehrsversuchs getätigten verkehrsrechtlichen Anordnungen, die Einbahnstraßenregelung in der Braugasse aufzuheben, die Landgrafenstraße als Sackgasse zu ändern, sowie die Richtung der Einbahnrichtung der Senckenbergstraße zu ändern, richtet. Von den Antragstellern wurde bemängelt, dass es für einen Verkehrsversuch eine Gefahrenlage bedarf, die durch plausible Datengrundlage nachgewiesen werden muss.<ref name="pm-vg-20230710" /> | ||
Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte der Argumentation und führte aus, dass die Straßenverkehrsordnung zwingend ein Feststellen einer einfachen Gefahrenlage erfordert und Gründe wie Klimaschutz und Emissionsreduzierung nicht ausreichen. Die Stadt Gießen legte am 20.07.2023 Beschwerde gegen den Beschluss beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel ein.<ref name="pm-vg-20230710" /><ref name="gaz-20230720-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/beschwerde-ist-eingereicht-92414464.html ''Beschwerde ist eingereicht''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 20.07.2023 ([https://web.archive.org/web/20230901081531/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/beschwerde-ist-eingereicht-92414464.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/2Si1W Archivierte Version])</ref> | Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte der Argumentation und führte aus, dass die Straßenverkehrsordnung zwingend ein Feststellen einer einfachen Gefahrenlage erfordert und Gründe wie Klimaschutz und Emissionsreduzierung nicht ausreichen. Die Stadt Gießen legte am 20.07.2023 Beschwerde gegen den Beschluss beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel ein.<ref name="pm-vg-20230710" /><ref name="gaz-20230720-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/beschwerde-ist-eingereicht-92414464.html ''Beschwerde ist eingereicht''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 20.07.2023 ([https://web.archive.org/web/20230901081531/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/beschwerde-ist-eingereicht-92414464.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/2Si1W Archivierte Version])</ref> | ||
=== Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel === | === Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel === | ||
Am 29. August 2023 wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde der Stadt Gießen zurück. Er schloss sich der Argumentation des Verwaltungsgerichts Gießen an, dass für eine Anordnung im Rahmen des Verkehrsversuchs eine Gefährdungslage vorliegen muss, diese jedoch auf den Straßen Senckenbergstraße, Landgrafenstraße und Braugasse nicht vorhanden ist. | |||
Der Verwaltungsgerichtshof stellte generell die Zulässigkeit des Verkehrsversuchs auf dem Anlagenring in Frage. Nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) bedarf es nach Ansicht des Gerichts zwingend einer Gefährdung, welche im Rahmen des Verkehrsversuchs beseitigt werden soll. Zusätzlich muss immer das mildeste Mittel gewählt und geprüft werden, ob nicht im Rahmen allgemeiner Verhaltensweisen die Gefährdung zu beseitigen ist. Zwar erlaubt die Straßenverkehrsordnung verschiedene Mittel bei der Umsetzung der Beseitigung von Gefahrenstellen zu experimentieren, jedoch darf dies nicht ohne vorherige Analyse geschehen. | |||
Im konkreten Fall des Verkehrsversuchs sieht der Verwaltungsgerichtshof keine ausreichende Datengrundlage für eine Gefährdung. Insbesondere deuten Unfallzahlen mit Beteiligung von Radfahrern, die von der Polizei erfasst wurden, darauf hin, dass diese mehrheitlich in Kreuzungssituationen geschehen, die auch beim geplanten Verkehrsversuch weiter bestehen. Auch die Einrichtung von Fahrradstraßen bedarf eines hohen Fahrradaufkommens bzw. einer Erhöhung desselben. Die Stadt Gießen rechnet jedoch vorerst mit keiner Erhöhung des Radfahreraufkommens.Der Verwaltungsgerichtshof weist jedoch darauf hin, dass die Stadt Gießen beispielsweise bei Teilen des Anlagenrings, die von der Forschungsstelle für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) als Belastungsbereich III eingestuft wurden, welche eine Trennung von Radfahrern und motorisiertem Verkehr empfiehlt, Maßnahmen ergreifen kann. | |||
=== Reaktionen auf die Gerichtsbeschlüsse === | === Reaktionen auf die Gerichtsbeschlüsse === | ||
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=== Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Becher und Bürgermeister Wright === | === Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Becher und Bürgermeister Wright === | ||
Durch den ehemaligen Ortsvorsteher Norbert Herlein wurde beim Regierungspräsidium Gießen eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Oberbürgermeister Frank-Thilo Becher und den Bürgermeister Alexander Wright eingereicht. Herlein wirft beiden Personen vor, dass sie einen „haushaltsbezogenen Schaden” und ihre Aufsichtspflichten verletzt haben.<ref name="ga-20230927-1" | Durch den ehemaligen Ortsvorsteher Norbert Herlein wurde beim Regierungspräsidium Gießen eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Oberbürgermeister Frank-Thilo Becher und den Bürgermeister Alexander Wright eingereicht. Herlein wirft beiden Personen vor, dass sie einen „haushaltsbezogenen Schaden” und ihre Aufsichtspflichten verletzt haben.<ref name="ga-20230927-1" /> | ||
=== Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister Alexander Wright === | === Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister Alexander Wright === | ||
Am 27.09.2023 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Gießen gegen den Bürgermeister Alexander Wright ein Ermittlungsverfahren wegen dem Anfangsverdacht der Untreue eingeleitet hat. Wright wird von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, dass er durch die Fortführung des Verkehrsversuches trotz des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen der Stadt Gießen einen Vermögensnachteil zugefügt hat. Im Zuge der Ermittlungen kam es am 27.09.2023 auch zu Durchsuchungen im Rathaus der Stadt Gießen.<ref name="pm-stapol-20230927">[https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43559/5613180 ''POL-GI: Gemeinsame Pressemeldung vom 27.09.23: Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Untreue im Zusammenhang mit dem sog. "Gießener Verkehrsversuch"''], Gemeine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Gießen und des Polizeipräsidiums Mittelhessen vom 27.09.2023 ([https://web.archive.org/web/20230927132856/https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43559/5613180 Archivierte Version]) ([https://archive.ph/Qo6xz Archivierte Version])</ref><ref name="ga-20230927-1" /><ref name="gaz-20230927-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/untreue-ermittlungen-gegen-giessener-buergermeister-polizeieinsatz-im-rathaus-92545453.html ''Untreue-Ermittlungen gegen Gießener Bürgermeister – Polizeieinsatz im Rathaus''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 27.09.2023 ([https://web.archive.org/web/20230927132338/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/untreue-ermittlungen-gegen-giessener-buergermeister-polizeieinsatz-im-rathaus-92545453.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/vzDMN Archivierte Version])</ref> | Am 27.09.2023 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Gießen gegen den Bürgermeister Alexander Wright ein Ermittlungsverfahren wegen dem Anfangsverdacht der Untreue eingeleitet hat. Wright wird von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, dass er durch die Fortführung des Verkehrsversuches trotz des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen der Stadt Gießen einen Vermögensnachteil zugefügt hat. Im Zuge der Ermittlungen kam es am 27.09.2023 auch zu Durchsuchungen im Rathaus der Stadt Gießen. Im Oktober 2024 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Gießen das Ermittlungsverfahren eingestellt hat. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Beschwerde des Anzeigeerstatters [[Oliver Persch]] die Ermittlungen wieder aufgenommen.<ref name="pm-stapol-20230927">[https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43559/5613180 ''POL-GI: Gemeinsame Pressemeldung vom 27.09.23: Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Untreue im Zusammenhang mit dem sog. "Gießener Verkehrsversuch"''], Gemeine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Gießen und des Polizeipräsidiums Mittelhessen vom 27.09.2023 ([https://web.archive.org/web/20230927132856/https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43559/5613180 Archivierte Version]) ([https://archive.ph/Qo6xz Archivierte Version])</ref><ref name="ga-20230927-1" /><ref name="gaz-20230927-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/untreue-ermittlungen-gegen-giessener-buergermeister-polizeieinsatz-im-rathaus-92545453.html ''Untreue-Ermittlungen gegen Gießener Bürgermeister – Polizeieinsatz im Rathaus''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 27.09.2023 ([https://web.archive.org/web/20230927132338/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/untreue-ermittlungen-gegen-giessener-buergermeister-polizeieinsatz-im-rathaus-92545453.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/vzDMN Archivierte Version])</ref><ref name="ga-20241022-1">[https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/ermittlungen-gegen-alexander-wright-in-giessen-eingestellt-93367863.html ''Ermittlungen gegen Alexander Wright in Gießen eingestellt''], Gießener Anzeiger vom 22.10.2024, abgerufen am 22.10.2024 ([https://archive.ph/QPAZP Archivierte Version])</ref><ref name="gaz_20241022-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/verkehrsversuch-giessen-ermittlungen-gegen-wright-eingestellt-untreue-becher-93368965.html ''Gegen Gießens Bürgermeister Alexander Wright wird nicht mehr ermittelt''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 22.10.2024, abgerufen am 22.10.2024 ([https://archive.ph/U6Y6X Archivierte Version])</ref><ref name="gaz-20250507" /><ref name="gaz-20250724-1>[https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/anzeige-erstatter-aus-giessen-erklaert-hintergruende-93849007.html ''Anzeige-Erstatter aus Gießen erklärt Hintergründe''], Gießener Anzeiger vom 24.07.2025 ([https://web.archive.org/web/20250725025417/https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/anzeige-erstatter-aus-giessen-erklaert-hintergruende-93849007.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/uO8Ym Archivierte Version])</ref> | ||
== Rückbau des Verkehrsversuchs == | == Rückbau des Verkehrsversuchs == | ||
=== Proteste gegen den Rückbau === | === Proteste gegen den Rückbau === | ||
[[Datei:ProtestcampVerkehrsversuch.jpg|thumb|right|200px|Protestcamp in der Landgrafenstraße]]Verkehrsaktivisten | [[Datei:ProtestcampVerkehrsversuch.jpg|thumb|right|200px|Protestcamp in der Landgrafenstraße]]Am 9. September 2023 errichteten Verkehrsaktivisten ein Protestcamp an der Einmündung der Landgrafenstraße in die Ostanlage. Damit wollten sie verhindern, dass in der Landgrafenstraße die ursprüngliche Verkehrsführung wiederhergestellt und die Sackgassenregelung aufgehoben wird. Das Protestcamp, das offiziell bei der Stadt Gießen als Versammlung angemeldet wurde, war bis Ende September 2023 geplant. Im Rahmen der Proteste demontierten die Aktivisten die Beschilderung, die für den Rückbau durch die Stadt Gießen aufgestellt worden war, was zu einer Strafanzeige durch die Stadt Gießen führte.<ref name="beschluss_vgh_20231005">[https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230005164/part/L ''Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 05.10.2023''], Aktenzeichen: 2 B 1353/23, European Case Law Identifier: ECLI:DE:VGHHE:2023:1005.2B1353.23.00 ([https://web.archive.org/web/20231030072907/https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230005164/part/L Archivierte Version]) ([https://archive.ph/CoBZd Archivierte Version])</ref><ref name="gaz_20230916-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/entfernt-strassenschilder-92520890.html ''Straßenschilder in Gießen entfernt – Strafanzeige gegen Verkehrsaktivisten''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 16.09.2023, abgerufen am 11.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20250511192423/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/entfernt-strassenschilder-92520890.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/8BlMq Archivierte Version])</ref> | ||
Am 22. September 2023 beantragten die Verkehrsaktivisten eine Verlängerung des Protestcamps bei der Stadt. Nachdem die Stadt Gießen unter anderem vom Verwaltungsgericht Gießen eine Androhung von Zwangsgeld erhalten hatte, verfügte dieses (Az.: 32 2100/Ha), dass das Protestcamp auf den angrenzenden Parkplatz am Goldfischteich ausweichen muss. Gegen diese Verfügung beantragten die Aktivisten beim Verwaltungsgericht Gießen einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 29. September 2023 lehnte das Gericht den Antrag ab. Auch eine daraufhin gerichtete Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof wurde am 5. Oktober 2023 nicht stattgegeben. Die Gerichte stimmten zwar grundsätzlich der Argumentation zu, dass Versammlungsteilnehmer ihren Versammlungsort frei wählen können, jedoch überwiege nach 23 Tagen und Nächten das Interesse der Allgemeinheit an der „Leichtigkeit des Verkehrs“.<ref name="gaz_20231007-1">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/landgrafenstrasse-noch-laenger-blockiert-92559023.html ''Landgrafenstraße noch länger blockiert''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 04.10.2023, abgerufen am 11.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20231004222720/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/landgrafenstrasse-noch-laenger-blockiert-92559023.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/iFNBH Archivierte Version])</ref><ref name="beschluss_vggi_20230923">[https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230005220/part/L ''Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29.09.2023''], Aktenzeichen: 9 L 2430/23.GI, European Case Law Identifier: ECLI:DE:VGGIESS:2023:0929.9L2430.23.GI.00 ([https://web.archive.org/web/20231109012936/https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230005220/part/L Archivierte Version]) ([https://archive.ph/wip/MzcEK Archivierte Version])</ref><ref name="beschluss_vgh_20231005" /> | |||
Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 6. Oktober 2023 den Eilantrag sowie die Verfassungsbeschwerde (Az.: 1 BvR 1920/23) nicht annahm, bauten die Teilnehmer am Abend das Protestcamp ab.<ref name="beschluss_bverfg_20231006">[[Medium:1_BvR_1920_23_vom_2023_10_06.pdf | ''Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Oktober 2023'']], Aktenzeichen: 1 BvR 1920/23 ([https://web.archive.org/web/20231119125714/https://www.giessen.wiki/images/a/ad/1_BvR_1920_23_vom_2023_10_06.pdf Archivierte Version]) ([https://archive.ph/lAnGD Archivierte Version])</ref><ref name="ga-20231007-1">[https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/aktivisten-raeumen-protestcamp-in-giessen-92563496.html ''Aktivisten räumen Protestcamp in Gießen''], Gießener Anzeiger vom 07.10.2023, abgerufen am 15.05.2025 ([https://web.archive.org/web/20231007203954/https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/aktivisten-raeumen-protestcamp-in-giessen-92563496.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/1Q28S Archivierte Version])</ref> | |||
=== Eilantrag gegen den Rückbau === | === Eilantrag gegen den Rückbau === | ||
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=== Einwohnerpetition gegen den Rückbau === | === Einwohnerpetition gegen den Rückbau === | ||
=== Kritik an der langsamen Geschwindigkeit des Rückbaus === | |||
== Politische Aufarbeitung == | |||
=== Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung === | |||
=== Akteneinsichtsausschuss zum Verkehrsversuch === | |||
== Kosten des Verkehrsversuchs == | == Kosten des Verkehrsversuchs == | ||
Die Kosten für den Verkehrsversuch belaufen sich auf 1.090.288 Euro (Stand: 09/2023). Zusätzlich fallen 557.000 Euro für Maßnahmen an, die unabhängig vom Verkehrsversuch hätten durchgeführt werden müssen und auch nach dessen Ende bestehen bleiben (Stand: 09/2023). Neben den Infrastrukturausgaben hat die Stadt Gießen rund 70.000 Euro für eine Werbekampagne zum Verkehrsversuch ausgegeben (Stand: 06/2023). Die Kosten für den schnellen Rückbau des Verkehrsversuchs werden mit 155.000 Euro angegeben (Stand: 11/2023). Darüber hinaus kommen noch Kosten für den Rechtsstreit hinzu.<ref name="anlage_kosten_stavo_sep2023">[https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=170791&type=do ''Anlage TOP 2.1.1''], Anlage zur Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 11.09.2023, abgerufen am 30.04.2025 ([http://web.archive.org/web/20250430141448/https://parlamentsinfo.giessen.de/getfile.php?id=170791&type=do Archivierte Version])</ref><ref name="ANF-1510-2023">[https://parlamentsinfo.giessen.de/vo0050.php?\__kvonr=20987 ''Kommunikations- und Informationskampagne zum Verkehrsversuch''], Anfrage gem. § 30 GO des Stv. Volker Bouffier vom 16.05.2023, Vorlage: ANF/1510/2023</ref><ref name="gaz-20231109">[https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/verkehrsversuchs-in-giessen-schneller-rueckbau-kostet-155-000-euro-92663034.html ''Verkehrsversuchs in Gießen: Schneller Rückbau kostet 155 000 Euro''], Gießener Allgemeine Zeitung vom 09.11.2023, abgerufen am 30.04.2025 ([https://web.archive.org/web/20231109084941/https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/verkehrsversuchs-in-giessen-schneller-rueckbau-kostet-155-000-euro-92663034.html Archivierte Version]) ([https://archive.ph/tOqji Archivierte Version])</ref> | |||
== Weblinks == | == Weblinks == | ||
Aktuelle Version vom 22. August 2025, 22:28 Uhr
Der Verkehrsversuch am Anlagenring in Gießen war ein Verkehrsversuch, welcher die inneren zwei Spuren des Anlagenrings als Fahrradstraße deklarierte, welche bis auf Ausnahmen nur durch Radfahrer, Busse und Rettungsmittel befahren werden durfte. Der Verkehrsversuch basierte auf einem Bürgerantrag und wurde am 04.03.2021 mehrheitlich vom Stadtparlament beschlossen. Am 30.08.2023 erklärte der Verwaltungsgerichtshof in Kassel den Verkehrsversuch in der bisherigen Form in Teilen für rechtswidrig, woraufhin die Stadt Gießen den Verkehrsversuch für gescheitert erklärte.
Einreichung des Bürgerantrags
Am 17.09.2020 wurde durch Oliver Jenschke auf der Beteiligungsplattform „Giessen-direkt” ein Bürgerantrag gestellt, der die Einrichtung von Zwei-Richtungs-Fahrradstraßen auf den inneren Fahrspuren des Anlagenrings durch den Magistrat innerhalb von 6 Monaten nach der Annahme des Antrags durch die Stadtverordnetenversammlung fordert. Hierzu soll der Magistrat alle erforderlichen Mittel bereitstellen. Des Weiteren fordert der Antrag, das Einrichten von zwei Innenstadtachsen als Fahrradstraße in für Autos in Einbahnrichtung genutzt werden können.
Die damalig gültige Bürgerbeteiligungssatzung schrieb vor, dass 1 % aller in Gießen mit Erstwohnsitz Gemeldeten durch ihre Unterstützungsunterschrift unterstützen müssen. Das Erreichen wurde durch die Stadt Gießen im Januar 2021 festgestellt, nachdem zuerst einige Unterstützungsunterschriften für ungültig erklärt wurden, weil es sich bei diesen Personen z. B. um Personen handelten, die nicht in Gießen mit Erstwohnsitz gemeldet waren.[1]
Beschlussfassung über den Bürgerantrag
Nach § 10 der damals gültigen Bürgerbeteiligungssatzung der Universitätsstadt Gießen hatte der Magistrat einen Bürgerantrag dem entsprechenden Organ (hier: der Stadtverordnetenversammlung) zur Beschlussfassung vorzulegen, wenn mindestens ein Prozent der Bürgerschaft den Antrag unterschrieben hatte.
Für die letzte Sitzungsrunde der Wahlperiode 2016-2021 wurde der Bürgerantrag zur Beschlussfassung vorgelegt. Die Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen brachten einen Änderungsantrag ein, der vorsieht, dass der Magistrat innerhalb von sechs Monaten einen einjährigen Verkehrsversuch startet. Dabei soll für Fahrradfahrer in jeder Richtung ein mindestens drei Meter breiter Fahrradstreifen eingerichtet werden. Zur Realisierung soll ein Gutachten erstellt werden, das aufzeigt, wie die Hälfte des Anlagenrings für Fahrradfahrer zur Verfügung gestellt werden kann. Zusätzlich soll auch der ÖPNV berücksichtigt werden. Die möglichen Varianten sollen der Stadtverordnetenversammlung zur Entscheidung vorgelegt werden.[2][3]
Argumente der Befürworter und Gegner
Befürworter aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken merkten an, dass die Innenstadt mit dem umschließenden Anlagenring noch immer keine Radwege habe und sich der Verkehr ändern müsse, wenn man die Klimaziele einhalten wolle. Auch sei man sicher, dass der Einzelhandel davon profitieren würde.[2]
Gegner des Bürgerantrags aus den Reihen von CDU, Freien Wählern und FDP kritisierten, dass die Beschlussfassung im Hauruckverfahren durchgeführt werde, und vertraten die Meinung, dass der Verkehrsversuch dem durch die Corona-Pandemie gebeutelten Innenstadthandel nicht zugemutet werden könne. Der Einzelhandel sei auf eine gute Erreichbarkeit mit dem PKW angewiesen. Zudem wurde argumentiert, dass es durch den Verkehrsversuch zu kilometerlangen Staus und Chaos kommen werde. Seitens der FDP wurde die Auffassung vertreten, dass zuerst die Menge an Autos auf dem Anlagenring verringert werden müsse, bevor man den Verkehrsversuch in der geplanten Form durchführe.[2][4]
Die Freien Wähler beantragten in diesem Zusammenhang, dass der Bürgerantrag in der Beratung bis nach der Kommunalwahl vertagt werden solle. Nach der damaligen Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung hätte dies gemäß § 32 zur Folge, dass der Bürgerantrag als erledigt anzusehen wäre. Die CDU stellte wiederum einen Initiativantrag, dass der Magistrat die Vorschläge des Bürgerantrags in den laufenden Prozess der Erstellung des Verkehrsentwicklungsplans aufnehmen und die Fertigstellung des Verkehrsentwicklungsplans beschleunigen solle.[3]
Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung
Die Zustimmung zum Bürgerantrag war nicht sicher. So konnte sich die damalige Koalition aus SPD, Grünen und CDU nicht auf eine gemeinsame Entscheidung einigen. Auch gab es in den Reihen der SPD Gegner des Antrags, wie zum Beispiel der Stadtverordnete Andreas Walldorf. Dieser trat vor der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 04.03.2021 von seinem Mandat zurück.[4]
Mit 30 zu 28 Stimmen stimmte die Stadtverordnetenversammlung dem Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu. Der Antrag der Freien Wähler auf Vertagung wurde mehrheitlich abgelehnt (Ja: 17 Stimmen, Nein: 38 Stimmen, Enthaltungen: 3 Stimmen), ebenso der Initiativantrag der CDU-Fraktion (Ja: 28 Stimmen, Nein: 30 Stimmen).[3]
| CDU | Frederik Bouffier
abgelehnt
|
Anja Verena Helmchen
abgelehnt
|
Hanno Kern
abgelehnt
|
Dorothé Küster
abgelehnt
|
Klaus Peter Möller
abgelehnt
|
| Michael Oswald
abgelehnt
|
Axel Pfeffer
abgelehnt
|
Thiemo Roth
abgelehnt
|
Julia-Christina Sator
abgelehnt
|
Martin Schlicksupp
abgelehnt
| |
| Markus Schmidt
abgelehnt
|
Randy Uelman
abgelehnt
|
Christine Wagener
abgelehnt
|
|||
| SPD | Katarzyna Bandurka
zugestimmt
|
Marianne Beukemann
zugestimmt
|
Inge Bietz
zugestimmt
|
Alfons Buchholz
zugestimmt
|
Felix Döring
zugestimmt
|
| Monika Heep
zugestimmt
|
Nina Heidt-Sommer
zugestimmt
|
Christian Heimbach
zugestimmt
|
Claudia Heimbach
zugestimmt
|
Eva Janzen
zugestimmt
| |
| Ingrid Kaminski
zugestimmt
|
Gerhard Merz
zugestimmt
|
Christopher Nübel
zugestimmt
|
Zeynal Sahin
zugestimmt
|
Frank Walter Schmidt
zugestimmt
| |
| GRÜNE | Dr. Heinrich Brinkmann
zugestimmt
|
Vahit Duran
zugestimmt
|
Klaus-Dieter Grothe
zugestimmt
|
Joachim Grußdorf
zugestimmt
|
Christiane Janetzky-Klein
zugestimmt
|
| Martin Klußmann
zugestimmt
|
Dr. Bettina Speiser
zugestimmt
|
Vera Strobel
zugestimmt
|
Lea Ruth Weinel-Greilich
zugestimmt
|
||
| FDP | Dow Aviv
abgelehnt
|
Manuela Giorgis
abgelehnt
|
Dr. Klaus Dieter Greilich
abgelehnt
|
||
| FW | Heiner Geißler
abgelehnt
|
Hans Heller
abgelehnt
|
Pia Mauthe
abgelehnt
|
||
| PIRATEN | Thomas Jochimsthal
zugestimmt
|
||||
| BLG | Elke Koch-Michel
keine Teilnahme
|
||||
| Gießener LINKE | Michael Beltz
abgelehnt
|
Michael Janitzki
zugestimmt
|
Martina Lennartz
zugestimmt
|
Cornelia Mim
zugestimmt
|
Matthias Riedl
zugestimmt
|
| AfD | Thomas Biemer
abgelehnt
|
Arno Enners
abgelehnt
|
Hilmar Jordan
abgelehnt
|
Sebastian Jung
abgelehnt
|
Andreas Lemmer
abgelehnt
|
| Regina Schmidt
abgelehnt
|
Heiko Stroh
abgelehnt
|
Sandra Weegels
abgelehnt
|
Planung und Einrichtung des Verkehrsversuchs
Kritik am Verkehrsversuch
Kritik von Geschäftsleuten in der Gießener Innenstadt
Kritik des Polizeipräsidiums Mittelhessen & Regierungspräsidiums Gießen
Sowohl das Polizeipräsidium Mittelhessen als auch das Regierungspräsidium Gießen zweifeln sowohl den Nutzen zur Beseitigung von Gefahrenquellen als auch die Zulässigkeit an. Im Zeitraum von 2020 bis 2022 ereigneten sich 26 von 27 Unfällen mit Beteiligung von Fahrradfahrern auf dem Anlagenring an Kreuzungs- oder Einmündungssituationen. Auch nach einem Umbau des Anlagenrings bleiben diese Gefahrenquellen bestehen, da die Fahrradstraße weiterhin von Verkehr gequert werden muss, um Einfahrten und Parkhäuser zu erreichen. Zudem wird eine zusätzliche Gefährdung beim Überholen von Fahrradfahrern durch Linienbusse gesehen, da diese zwangsläufig die Gegenfahrbahn nutzen müssten, um den innerorts vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.[6]
Auch wurde die Zulässigkeit der gewählten Variante generell angezweifelt, da große Teile des Anlagenrings zur Landesstraße (L 3475) gehören. Diese dient gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Straßengesetzes dem überörtlichen Durchgangsverkehr und bildet zusammen mit den Bundesfernstraßen ein Verkehrsnetz. Durch die gewählte Variante würde ein großer Teil des Verkehrsraums dem motorisierten Individualverkehr entzogen. [6]
Von Seiten des Polizeipräsidiums wurde zusätzlich befürchtet, dass sich die Einsatzzeiten verlängern könnten und bei Einsätzen erhebliche Umwege in Kauf genommen werden müssten.[7]
Rechtsstreit
Im Rahmen der Errichtung des Verkehrsversuchs verfügte die Stadt Gießen am 13.06.2023 bzw. 16.06.2023 die verkehrsrechtliche Anordnung, die Einbahnstraßenregelung in der Braugasse aufzuheben, die Landgrafenstraße als Sackgasse auszuweisen und die Richtung der Einbahnstraße in der Senckenbergstraße zu ändern.[8]
Gegen diese Anordnungen reichten Anwohner der betroffenen Straßen am 22.06.2023 Klage beim Verwaltungsgericht Gießen ein und beantragten zusätzlich einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 10.07.2023 wies das Verwaltungsgericht die Stadt Gießen an, den ursprünglichen Zustand der Straßen wiederherzustellen. Eine Beschwerde der Stadt Gießen gegen diesen Beschluss wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 29.08.2023 abgewiesen. Formell betraf der Rechtsstreit nur die Anordnung, welche die drei Straßen betrifft, jedoch zweifelte der Hessische Verwaltungsgerichtshof generell die Zulässigkeit des geplanten Verkehrsversuchs an. Am 09.10.2023 wurde das Hauptsacheverfahren (Az.: 6 K 1537/23.GI) vom Verwaltungsgericht Gießen eingestellt, da sowohl die Kläger als auch die Stadt Gießen das Verfahren für erledigt erklärten.[9][10]
Vor dem Hintergrund, dass die Stadt Gießen die Einrichtung des Verkehrsversuch trotz des Beschlusses des Verwaltungsgerichts bis zum Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs weiter durchgeführt hat, wurde von Personen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Bürgermeister Alexander Wright und Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher eingelegt sowie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gegen sie erstattet.[11][12]
Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Gießen
Mit Beschluss vom 10.07.2023 (Az.: 6 L 1536/23.GI) gab das Verwaltungsgericht einem Eilantrag von zwei Einwohnern statt, der sich gegen die im Rahmen des Verkehrsversuchs getätigten verkehrsrechtlichen Anordnungen, die Einbahnstraßenregelung in der Braugasse aufzuheben, die Landgrafenstraße als Sackgasse zu ändern, sowie die Richtung der Einbahnrichtung der Senckenbergstraße zu ändern, richtet. Von den Antragstellern wurde bemängelt, dass es für einen Verkehrsversuch eine Gefahrenlage bedarf, die durch plausible Datengrundlage nachgewiesen werden muss.[8]
Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte der Argumentation und führte aus, dass die Straßenverkehrsordnung zwingend ein Feststellen einer einfachen Gefahrenlage erfordert und Gründe wie Klimaschutz und Emissionsreduzierung nicht ausreichen. Die Stadt Gießen legte am 20.07.2023 Beschwerde gegen den Beschluss beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel ein.[8][13]
Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof Kassel
Am 29. August 2023 wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde der Stadt Gießen zurück. Er schloss sich der Argumentation des Verwaltungsgerichts Gießen an, dass für eine Anordnung im Rahmen des Verkehrsversuchs eine Gefährdungslage vorliegen muss, diese jedoch auf den Straßen Senckenbergstraße, Landgrafenstraße und Braugasse nicht vorhanden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof stellte generell die Zulässigkeit des Verkehrsversuchs auf dem Anlagenring in Frage. Nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) bedarf es nach Ansicht des Gerichts zwingend einer Gefährdung, welche im Rahmen des Verkehrsversuchs beseitigt werden soll. Zusätzlich muss immer das mildeste Mittel gewählt und geprüft werden, ob nicht im Rahmen allgemeiner Verhaltensweisen die Gefährdung zu beseitigen ist. Zwar erlaubt die Straßenverkehrsordnung verschiedene Mittel bei der Umsetzung der Beseitigung von Gefahrenstellen zu experimentieren, jedoch darf dies nicht ohne vorherige Analyse geschehen.
Im konkreten Fall des Verkehrsversuchs sieht der Verwaltungsgerichtshof keine ausreichende Datengrundlage für eine Gefährdung. Insbesondere deuten Unfallzahlen mit Beteiligung von Radfahrern, die von der Polizei erfasst wurden, darauf hin, dass diese mehrheitlich in Kreuzungssituationen geschehen, die auch beim geplanten Verkehrsversuch weiter bestehen. Auch die Einrichtung von Fahrradstraßen bedarf eines hohen Fahrradaufkommens bzw. einer Erhöhung desselben. Die Stadt Gießen rechnet jedoch vorerst mit keiner Erhöhung des Radfahreraufkommens.Der Verwaltungsgerichtshof weist jedoch darauf hin, dass die Stadt Gießen beispielsweise bei Teilen des Anlagenrings, die von der Forschungsstelle für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) als Belastungsbereich III eingestuft wurden, welche eine Trennung von Radfahrern und motorisiertem Verkehr empfiehlt, Maßnahmen ergreifen kann.
Reaktionen auf die Gerichtsbeschlüsse
Der Verkehrswendeaktivist Jörg Bergstedt kritisiert in einem Artikel in der Gießener Zeitung die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und wirft den beteiligten vorsitzenden Richter Harald Wack vor, dass er über einen Fall verhandelt hat, den seine vorherigen Untergebenen am Verwaltungsgericht Gießen zuvor behandelt hatten. Des Weiteren wirft er Wack vor, dass dieser die Kläger und Antragsteller persönlich kennen würde und die Klage mit ihnen abgesprochen wäre. Zusätzlich sieht er auch einen persönlichen Interessenskonflikt bei Wack, da dieser für die FDP auf einem Kommunalwahlplatz außerhalb von Gießen kandidiert hatte. Harald Wack bestreitet die Vorwürfe, er kenne die Kläger und Antragsteller nicht und die Richter haben nach „Recht und Gesetz“ entschieden. Auch habe er als Gerichtspräsident am Verwaltungsgericht Gießen niemals Einfluss auf Entscheidungen anderer Richter ausgeübt.[14][15]
Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Becher und Bürgermeister Wright
Durch den ehemaligen Ortsvorsteher Norbert Herlein wurde beim Regierungspräsidium Gießen eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Oberbürgermeister Frank-Thilo Becher und den Bürgermeister Alexander Wright eingereicht. Herlein wirft beiden Personen vor, dass sie einen „haushaltsbezogenen Schaden” und ihre Aufsichtspflichten verletzt haben.[12]
Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister Alexander Wright
Am 27.09.2023 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Gießen gegen den Bürgermeister Alexander Wright ein Ermittlungsverfahren wegen dem Anfangsverdacht der Untreue eingeleitet hat. Wright wird von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, dass er durch die Fortführung des Verkehrsversuches trotz des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen der Stadt Gießen einen Vermögensnachteil zugefügt hat. Im Zuge der Ermittlungen kam es am 27.09.2023 auch zu Durchsuchungen im Rathaus der Stadt Gießen. Im Oktober 2024 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Gießen das Ermittlungsverfahren eingestellt hat. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Beschwerde des Anzeigeerstatters Oliver Persch die Ermittlungen wieder aufgenommen.[16][12][17][18][19][11][20]
Rückbau des Verkehrsversuchs
Proteste gegen den Rückbau
Am 9. September 2023 errichteten Verkehrsaktivisten ein Protestcamp an der Einmündung der Landgrafenstraße in die Ostanlage. Damit wollten sie verhindern, dass in der Landgrafenstraße die ursprüngliche Verkehrsführung wiederhergestellt und die Sackgassenregelung aufgehoben wird. Das Protestcamp, das offiziell bei der Stadt Gießen als Versammlung angemeldet wurde, war bis Ende September 2023 geplant. Im Rahmen der Proteste demontierten die Aktivisten die Beschilderung, die für den Rückbau durch die Stadt Gießen aufgestellt worden war, was zu einer Strafanzeige durch die Stadt Gießen führte.[21][22]
Am 22. September 2023 beantragten die Verkehrsaktivisten eine Verlängerung des Protestcamps bei der Stadt. Nachdem die Stadt Gießen unter anderem vom Verwaltungsgericht Gießen eine Androhung von Zwangsgeld erhalten hatte, verfügte dieses (Az.: 32 2100/Ha), dass das Protestcamp auf den angrenzenden Parkplatz am Goldfischteich ausweichen muss. Gegen diese Verfügung beantragten die Aktivisten beim Verwaltungsgericht Gießen einstweiligen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 29. September 2023 lehnte das Gericht den Antrag ab. Auch eine daraufhin gerichtete Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof wurde am 5. Oktober 2023 nicht stattgegeben. Die Gerichte stimmten zwar grundsätzlich der Argumentation zu, dass Versammlungsteilnehmer ihren Versammlungsort frei wählen können, jedoch überwiege nach 23 Tagen und Nächten das Interesse der Allgemeinheit an der „Leichtigkeit des Verkehrs“.[23][24][21]
Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 6. Oktober 2023 den Eilantrag sowie die Verfassungsbeschwerde (Az.: 1 BvR 1920/23) nicht annahm, bauten die Teilnehmer am Abend das Protestcamp ab.[25][26]
Eilantrag gegen den Rückbau
Beim Verwaltungsgericht Gießen ist ein Eilantrag gegen den Rückbau eingereicht worden. In diesem führt der Antragsteller aus, dass die neue Verkehrsführung beim Rückbau eine lebensgefährliche Situation für Radfahrer schaffe und ihn in seinen Grundrechten verletzte.[27]
Einwohnerpetition gegen den Rückbau
Kritik an der langsamen Geschwindigkeit des Rückbaus
Politische Aufarbeitung
Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung
Akteneinsichtsausschuss zum Verkehrsversuch
Kosten des Verkehrsversuchs
Die Kosten für den Verkehrsversuch belaufen sich auf 1.090.288 Euro (Stand: 09/2023). Zusätzlich fallen 557.000 Euro für Maßnahmen an, die unabhängig vom Verkehrsversuch hätten durchgeführt werden müssen und auch nach dessen Ende bestehen bleiben (Stand: 09/2023). Neben den Infrastrukturausgaben hat die Stadt Gießen rund 70.000 Euro für eine Werbekampagne zum Verkehrsversuch ausgegeben (Stand: 06/2023). Die Kosten für den schnellen Rückbau des Verkehrsversuchs werden mit 155.000 Euro angegeben (Stand: 11/2023). Darüber hinaus kommen noch Kosten für den Rechtsstreit hinzu.[28][29][30]
Weblinks
- Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
- Strafgesetzbuch (StGB)
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
- Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO)
- Straßenverkehrsgesetz (StVG)
- Hessisches Straßengesetz (HStrG)
- Hessisches Versammlungsfreiheitsgesetz (HVersFG)
Einzelnachweise
- ↑ Gießen: Bürgerantrag auf separate Radspuren dreht Extrarunde wegen ungültiger Stimmen, Gießener Allgemeine Zeitung vom 19.01.2021 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Niederschrift der Sitzung des Ausschusses für Planen, Bauen, Umwelt und Verkehr vom 16.02.2021, Seiten 7 ff., abgerufen am 04.05.2025 (Archivierte Version)
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 04.03.2021, Seiten 25 ff., abgerufen am 04.05.2025 (Archivierte Version)
- ↑ 4,0 4,1 Ja zum Verkehrsversuch, Gießener Allgemeine Zeitung vom 05.03.2021, abgerufen am 04.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ STV Auszug - TOP 8 namentliche Abstimmung, Anlage zur Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 04.03.2021, abgerufen am 07.11.2023 (Archivierte Version)
- ↑ 6,0 6,1 Unterlagen des Regierungspräsidiums Gießen zur Anzeige des Verkehrsversuchs auf dem Gießener Anlagenring, Geschäftszeichen: RPGI-33-66I0500/2-2023/8, Stand: 20.10.2023, anonymisiert durch giessen.wiki (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Riskante Überholvorgänge: Behörden zweifeln am Verkehrsversuch in Gießen, Gießener Allgemeine Zeitung vom 25.08.2023, abgerufen am 04.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ 8,0 8,1 8,2 Gießener Verkehrsversuch rechtswidrig, Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 10.07.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29.08.2023, Aktenzeichen: 2 B 987/23, European Case Law Identifier: ECLI:DE:VGHHE:2023:0829.2B987.23.00 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Sämtliche Verfahren bezüglich des Verkehrsversuches beim Verwaltungsgericht Gießen beendet, Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 27.10.2023, abgerufen am 15.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ 11,0 11,1 Gießens Bürgermeister wieder im Fokus der Ermittler – Verkehrsversuch-Chaos zieht erneut Kreise, Gießener Allgemeine Zeitung vom 07.05.2025, abgerufen am 07.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ 12,0 12,1 12,2 Ermittlungen gegen Bürgermeister, Gießener Anzeiger vom 27.09.2023, abgerufen am 15.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Beschwerde ist eingereicht, Gießener Allgemeine Zeitung vom 20.07.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Parteien-Polizei-Justizfilz stoppt Verkehrswende in Gießen, Gießener Zeitung vom 07.09.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Gießener Verkehrsversuch: Richter dementiert Seilschaften – „Krude Verschwörungstheorien“, Gießener Allgemeine Zeitung vom 09.09.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ POL-GI: Gemeinsame Pressemeldung vom 27.09.23: Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Untreue im Zusammenhang mit dem sog. "Gießener Verkehrsversuch", Gemeine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Gießen und des Polizeipräsidiums Mittelhessen vom 27.09.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Untreue-Ermittlungen gegen Gießener Bürgermeister – Polizeieinsatz im Rathaus, Gießener Allgemeine Zeitung vom 27.09.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Ermittlungen gegen Alexander Wright in Gießen eingestellt, Gießener Anzeiger vom 22.10.2024, abgerufen am 22.10.2024 (Archivierte Version)
- ↑ Gegen Gießens Bürgermeister Alexander Wright wird nicht mehr ermittelt, Gießener Allgemeine Zeitung vom 22.10.2024, abgerufen am 22.10.2024 (Archivierte Version)
- ↑ Anzeige-Erstatter aus Gießen erklärt Hintergründe, Gießener Anzeiger vom 24.07.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ 21,0 21,1 Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 05.10.2023, Aktenzeichen: 2 B 1353/23, European Case Law Identifier: ECLI:DE:VGHHE:2023:1005.2B1353.23.00 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Straßenschilder in Gießen entfernt – Strafanzeige gegen Verkehrsaktivisten, Gießener Allgemeine Zeitung vom 16.09.2023, abgerufen am 11.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Landgrafenstraße noch länger blockiert, Gießener Allgemeine Zeitung vom 04.10.2023, abgerufen am 11.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29.09.2023, Aktenzeichen: 9 L 2430/23.GI, European Case Law Identifier: ECLI:DE:VGGIESS:2023:0929.9L2430.23.GI.00 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Oktober 2023, Aktenzeichen: 1 BvR 1920/23 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Aktivisten räumen Protestcamp in Gießen, Gießener Anzeiger vom 07.10.2023, abgerufen am 15.05.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Nun Klage gegen Rückbau von Verkehrsversuch in Gießen – Eilantrag eingereicht, Gießener Allgemeine Zeitung vom 05.09.2023 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
- ↑ Anlage TOP 2.1.1, Anlage zur Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung vom 11.09.2023, abgerufen am 30.04.2025 (Archivierte Version)
- ↑ Kommunikations- und Informationskampagne zum Verkehrsversuch, Anfrage gem. § 30 GO des Stv. Volker Bouffier vom 16.05.2023, Vorlage: ANF/1510/2023
- ↑ Verkehrsversuchs in Gießen: Schneller Rückbau kostet 155 000 Euro, Gießener Allgemeine Zeitung vom 09.11.2023, abgerufen am 30.04.2025 (Archivierte Version) (Archivierte Version)
| Bürgerantrag "Fahrradstraßen auf dem inneren Anlagenring sowie zwei Fahrradstraßen-Achsen durch die Innenstadt" sowie Antrag auf Bürgerschaftsversammlung zu diesem Verhandlungsgegenstand Vorlage: STV/2673/2021 |
| Bürgerantrag "Für eine vernünftige Verkehrsplanung" Vorlage: STV/0056/2021 |
| Alternativenprüfung Fahrradspuren Anlagenring Vorlage: STV/0487/2021 |
| Aussetzung der Maßnahmen zu Fahrradstraßen auf dem inneren Anlagenring Antrag der AfD-Fraktion vom 25.10.2021, Vorlage: STV/0420/2021 |
| Verkehrsversuch am Anlagenring Anfrage gem. § 29 GO der Stv. K. Schmidt vom 31.05.2022, Vorlage: ANF/0881/2022 |
| Werbekampagne Verkehrsversuch Anfrage gem. § 30 GO des Stv. Helmchen vom 11.05.2023, Vorlage: ANF/1487/2023 |
| Kommunikations- und Informationskampagne zum Verkehrsversuch Anfrage gem. § 30 GO des Stv. Volker Bouffier vom 16.05.2023, Vorlage: ANF/1510/2023 |
| Auswertung und Begleitung des Verkehrsversuchs durch Fachbüros Anfrage gem. § 30 GO des Stv. Pfeffer vom 17.05.2023, Vorlage: ANF/1509/2023 |
| Kriterien zur Evaluierung des Verkehrsversuchs Anfrage gem. § 30 GO der Stv. Kathrin Schmidt vom 18.05.2023, Vorlage: ANF/1511/2023 |
| Festlegung von Abbruch- und Erfolgs- bzw. Misserfolgskriterien für den Verkehrsversuch Antrag der CDU-Fraktion vom 18.06.2023, Vorlage: STV/1566/2023 |
| Verkehrsversuch Anfrage gem. § 30 GO des Stv. Dr. Greilich vom 02.07.2023, Vorlage: ANF/1599/2023 |
| Aussetzung des sogenannten Verkehrsversuches Dringlichkeitsantrag der CDU-Fraktion vom 10.07.2023, Vorlage: STV/1619/2023 |
| Kosten des Verkehrsversuchs in der Stadt Gießen Anfrage gem. § 28 GO der Stv. Kathrin Schmidt vom 12.07.2023, Vorlage: ANF/1617/2023 |
| Verkehrsversuch in der Stadt Gießen Anfrage gem. § 28 GO der Stv. K. Schmidt vom 14.07.2023, Vorlage: ANF/1621/2023 |
| Kontakt des Magistrats/der Verwaltung zu Verkehrswendeaktivisten Anfrage gem. § 29 GO der Stv. Kathrin Schmidt vom 06.09.2023, Vorlage: ANF/1680/2023 |
| Moratorium (Verkehrsversuch) Antrag der Fraktion Gigg+Volt vom 11.09.2023, Vorlage: STV/1671/2023 |
| Einrichtung eines Akteneinsichtsausschusses zum Thema "Verkehrsversuch Anlagenring" Antrag der Fraktion Gigg+Volt vom 11.09.2023, Vorlage: STV/1704/2023 |
| Sofortiger Rückbau des Verkehrsversuchs Antrag der Fraktionen CDU und FDP vom 24.09.2023, Vorlage: STV/1715/2023 |
| Personalkosten Verkehrsversuch Anfrage gem. § 29 GO des Stv. F. Bouffier vom 25.09.2023, Vorlage: ANF/1722/2023 |
| Rückbau des Verkehrsversuchs Anfrage gem. § 30 des Stv. Dr. Greilich vom 13.02.2024, Vorlage: ANF/1946/2024 |
| Einrichtung eines Akteneinsichtsausschusses „Verkehrsversuch am Anlagenring“ Antrag der FDP-Fraktion vom 17.06.2024, Vorlage: STV/2149/2024 |